Zwischen KI-Euphorie und Markt-Normalisierung

Auf einen Blick

Im Detail

Die Korrektur, die kaum jemand wahrnimmt

Höhere Zinsen als Korrektiv früherer Übertreibungen

Heute akzeptiert der Markt selbst bei den hochwertigsten, stabil wachsenden Unternehmen immer seltener Startbewertungen, die unter der Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen liegen. Mit rund 4 Prozent Zinsen auf zehnjährige US-Staatsanleihen hat sich das Anlegerverhalten angepasst. Während in der Nullzinsphase nahezu jedes Multiple vertretbar schien – schlicht weil es keinen risikolosen Ertrag gab –, existiert nun wieder ein realer Vergleichsmassstab. Die Rendite sicherer Staatsanleihen bildet heute eher die Untergrenze für die Bewertung vieler Qualitätsunternehmen. Was früher mangels Alternativen plausibel wirkte, wird vom Markt inzwischen deutlich strenger eingeordnet.

Für einen Investor, der verlässliche Renditen erzielen möchte und Spekulation bewusst meidet, rücken deshalb diese Segmente in den Vordergrund: Qualitätsunternehmen mit soliden Geschäftsmodellen, verlässlichen Cashflows und attraktiven Multiples, kombiniert mit einem möglichst absehbaren und soliden jährlichen Wachstum des freien Cashflows. Dieses Profil bietet heute – im Gegensatz zu vielen hoch bewerteten KI-Titeln – eine kalkulierbare Balance aus Ertrag, Risikokontrolle und langfristiger Wertsteigerung.

Auf die Frage, ob der gesamte Markt heute zu teuer sei, lässt sich daher nur differenziert antworten. Die vermeintliche Überbewertung betrifft nicht alle Unternehmen gleichermassen. Die künftigen Gewinner finden sich eher unter jenen „langweiligen“ Firmen, die Jahr für Jahr verlässlich abliefern und deren Bewertungen erstmals seit Jahren wieder auf ein nachvollziehbares Niveau zurückgekehrt sind. Während einzelne Segmente – insbesondere Teile des KI-Universums – weiterhin sehr ambitioniert bepreist werden, erscheinen viele solide Qualitätsunternehmen heute so attraktiv wie lange nicht mehr.

Beispiele, die den Trend zeigen

Bewertung von Roper Technologies

Chance und Risiko zugleich

Aktuell wird vielerorts diskutiert, ob wir uns in einer KI-Blase befinden. Erkennbar ist, dass die Unternehmen mit den höchsten Gewichtungen innerhalb der US-Indizes extrem hoch bewertet sind. Manche argumentieren, Bewertungen seien heute weniger relevant oder historische Vergleiche nicht mehr anwendbar. Der vorherrschende Gedanke lautet: „Diesmal ist vieles anders“ – Unternehmen seien stärker, ihre Bilanzen weniger verschuldet und ihre Profitabilität robuster.

Zwar unterscheidet sich das heutige Umfeld in vielen Punkten von der Technologieblase der späten 1990er-Jahre, doch gewisse Parallelen sind unübersehbar. Neben den hohen Bewertungen fällt insbesondere die starke Kapitalkonzentration auf KI-bezogene Aktien auf – sie ist heute sogar grösser als die damalige Dominanz der Technologiewerte im Jahr 2000. Befürworter argumentieren, dass es sich diesmal nicht um unrentable Spekulationsobjekte handelt.

Gleichzeitig bleiben zentrale Risiken bestehen: OpenAI, einer der wichtigsten Treiber der aktuellen Kursbewegungen, ist weiterhin hoch defizitär und sein Geschäftsmodell nicht abschliessend geklärt. Dennoch schliesst das Unternehmen milliardenschwere Kooperationen ab – häufig ohne eindeutig nachvollziehbare Finanzierungsquellen. Nvidia wiederum ist zwar ausserordentlich profitabel, stützt sich laut mehreren Analysten jedoch auf teils „zirkuläre“ Transaktionen, um das derzeitige Wachstumsniveau aufrechtzuerhalten.

Alphabet, Meta, Amazon und Microsoft stehen ebenfalls im Zentrum der aktuellen KI-Investitionswelle. Zwei Punkte stechen hervor. Erstens: Obwohl diese Unternehmen äusserst profitabel sind, stammt ein Grossteil ihrer Cashflows weiterhin aus Werbung. In früheren Abschwüngen wurden Werbebudgets zunächst in traditionellen Medien gekürzt, während digitale Plattformen vergleichsweise stabil blieben. Heute jedoch liegt nahezu das gesamte Werbevolumen bereits bei den digitalen Anbietern. In der nächsten Wirtschaftsschwäche dürfte dieser Schutzmechanismus daher wegfallen: Ein breit angelegter Rückgang der Werbeausgaben (wie es in einem Wirtschaftsabschwung üblich wäre) könnte ihre Fähigkeit, die enormen KI-Investitionen zu finanzieren, unmittelbar beeinträchtigen.

Zweitens verändert sich der kapitalleichte Charakter, der diese Unternehmen einst auszeichnete. Die vier größten Player dürften 2025 schätzungsweise rund 370 Milliarden US-Dollar für KI-Investitionen aufwenden – etwa 70 % ihres operativen Cashflows der vergangenen zwölf Monate. Damit werden sie zunehmend zu kapitalintensiven Unternehmen.

Die Geschichte zeigt, dass Branchen mit rasanten technologischen Ausbauphasen – Eisenbahnen, Elektrifizierung, Internet-Infrastruktur – oft überinvestieren, was zu schlechten Renditen führt. Ob die heutigen Ausgaben zu hoch oder zu niedrig sind, bleibt ungewiss, doch die Risiken sind klar erkennbar.

Wir begleiten diese Entwicklung mit Vorsicht und ziehen es vor, schrittweise in qualitativ hochwertige Unternehmen zu investieren, deren Bewertungen auch ohne optimistische Annahmen attraktive Renditen zulassen. Im Laufe des Jahres haben wir hierfür gezielt Cashpolster aufgebaut – insbesondere durch den Verkauf von Titeln, deren Bewertungen aus unserer Sicht das vernünftige Bewertungsband überschritten hatten. Dieses Polster setzen wir nun bewusst langsam und diszipliniert ein, um aussergewöhnlich attraktive Einstiegsmöglichkeiten in hochwertigen Unternehmen nutzen zu können.

Fazit: Man sollte dort fischen, wo die Fische sind – nicht dort, wo sich die meisten Fischer drängen.

Bei Fragen stehe ich Ihnen natürlich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen

Björn Heissenberger
heissenberger@h-vv.ch
+41 44 254 38 86

Björn Heissenberger
Björn Heissenberger