Zwischen KI-Euphorie und Markt-Normalisierung
Auf einen Blick
Die aktuellen Märkte werden an der Oberfläche von wenigen KI-getriebenen Mega-Caps dominiert, was die grossen Indizes verzerrt und den Eindruck eines insgesamt überteuerten Marktes erzeugt. Jenseits dieser Spitzengruppe hat sich jedoch in vielen Segmenten eine stille, aber deutliche Normalisierung vollzogen:
Zahlreiche ehemals hoch bewertete Qualitätsunternehmen haben ihre Übertreibungen abgebaut, während Umsätze, Gewinne und Cashflows weiter gewachsen sind.
Mit rund 4 % Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen hat sich der Bewertungsmassstab grundlegend verschoben – Quality „zu jedem Preis“ wird nicht mehr akzeptiert, die Zinsen wirken als natürliches Korrektiv der Nullzins-Exzesse. Davon betroffen sind quer durch Branchen starke Unternehmen – von Software über Industrie- und Konsumgüter bis zur Medizintechnik –, deren Geschäftsmodelle intakt sind, deren Multiples aber wieder auf ein vernünftiges Niveau zurückgekehrt sind.
Wir nutzen diese Marktphase, um Positionen in ausgewählten Qualitätsunternehmen mit klar definierten Kaufkriterien auf- und auszubauen.
Dennoch bleibt das Marktumfeld insgesamt verletzlich: Sollten sich die Übertreibungen im KI-Segment auflösen, dürfte die anschliessende Bereinigung – insbesondere die Rückführung der heutigen Überinvestitionen – auch Unternehmen treffen, die operativ kaum mit KI zu tun haben. Solche Korrekturen wirken erfahrungsgemäss schnell in die Breite der Wirtschaft hinein und können den gesamten Markt spürbar belasten.
Im Detail
In den Schlagzeilen dominiert das Thema künstliche Intelligenz, und die Kursentwicklungen weniger Mega-Caps prägen inzwischen einen erheblichen Teil der globalen Indizes. Unternehmen wie Nvidia, Microsoft, Amazon, Apple & Co. stellen heute ein so grosses Gewicht, dass sie den Verlauf formal breit gestreuter Indizes faktisch bestimmen. Im S&P 500 vereinen die zehn schwersten Titel mittlerweile einen beträchtlichen Anteil der Marktkapitalisierung auf sich; Technologie- und KI-Gewinner stellen inzwischen rund ein Drittel des Index, die zehn grössten Titel kommen auf knapp 40 Prozent des Indexgewichts.
Damit entsteht eine verzerrte Wahrnehmung dessen, was als „Markt“ gilt. Wer die grossen Indizes betrachtet, blickt primär auf eine Handvoll Unternehmen, deren Bewertungen durch das KI-Thema stark nach oben gezogen wurden. Entsprechend wird an verschiedenen Stellen – von Banken über Regulatoren bis hin zu Notenbanken – offen diskutiert, ob sich in diesem Segment eine Überhitzung abzeichnet oder ob die Erwartungsbildung an die Grenzen der Belastbarkeit stösst.
Jenseits dieser Spitzengruppe zeigt sich jedoch auch ein anderes Bild: Der breite Markt hat sich in manchen Bereichen inzwischen merklich normalisiert. Geld floss aus den alten Gewinnern ab und von dort aus die vermeintlichen künftigen KI-Gewinner.
Die Korrektur, die kaum jemand wahrnimmt
Zahlreiche Unternehmen, die in der Phase früherer Bewertungsübertreibungen mit sehr ambitionierten Multiples gehandelt wurden, haben diese Übertreibungen inzwischen abgebaut – sei es durch rückläufige Kurse bei zugleich steigenden Umsätzen und Gewinnen oder durch längere Seitwärtsphasen, während die Fundamentaldaten weiter Fortschritte machten. Einige dieser Titel bewegen sich heute wieder in Bewertungsregionen, die einer Rückkehr zu attraktiven Einstiegspreisen entsprechen.
Hierbei handelt es sich nicht selten um einstige Anlegerlieblinge, die aufgrund ihrer Popularität, ihres starken Wachstums und ihrer defensiven Aufstellung auf Bewertungsniveaus gestiegen waren, die sich im Rückblick als nicht nachhaltig erwiesen haben – und deren Korrektur bis heute nachwirkt. Ein Muster, das sich heute in Teilen des KI-Segments erneut beobachten lässt, wo Popularität, Momentum und hohe Erwartungen die Bewertungen heute ebenfalls spürbar nach oben treiben.
Während also an der Spitze des Marktes über eine mögliche KI-Blase diskutiert wird, hat sich in anderen Teilen des Aktienmarktuniversums ein stiller, aber substanzieller Bewertungsrückgang vollzogen. Diese Entwicklung verläuft leise und wird in der öffentlichen Wahrnehmung weit weniger beachtet als die Kursausschläge der KI-Schwergewichte – ist für langfristig orientierte Anleger aber mindestens ebenso relevant.
Höhere Zinsen als Korrektiv früherer Übertreibungen
Heute akzeptiert der Markt selbst bei den hochwertigsten, stabil wachsenden Unternehmen immer seltener Startbewertungen, die unter der Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen liegen. Mit rund 4 Prozent Zinsen auf zehnjährige US-Staatsanleihen hat sich das Anlegerverhalten angepasst. Während in der Nullzinsphase nahezu jedes Multiple vertretbar schien – schlicht weil es keinen risikolosen Ertrag gab –, existiert nun wieder ein realer Vergleichsmassstab. Die Rendite sicherer Staatsanleihen bildet heute eher die Untergrenze für die Bewertung vieler Qualitätsunternehmen. Was früher mangels Alternativen plausibel wirkte, wird vom Markt inzwischen deutlich strenger eingeordnet.
Für einen Investor, der verlässliche Renditen erzielen möchte und Spekulation bewusst meidet, rücken deshalb diese Segmente in den Vordergrund: Qualitätsunternehmen mit soliden Geschäftsmodellen, verlässlichen Cashflows und attraktiven Multiples, kombiniert mit einem möglichst absehbaren und soliden jährlichen Wachstum des freien Cashflows. Dieses Profil bietet heute – im Gegensatz zu vielen hoch bewerteten KI-Titeln – eine kalkulierbare Balance aus Ertrag, Risikokontrolle und langfristiger Wertsteigerung.
Auf die Frage, ob der gesamte Markt heute zu teuer sei, lässt sich daher nur differenziert antworten. Die vermeintliche Überbewertung betrifft nicht alle Unternehmen gleichermassen. Die künftigen Gewinner finden sich eher unter jenen „langweiligen“ Firmen, die Jahr für Jahr verlässlich abliefern und deren Bewertungen erstmals seit Jahren wieder auf ein nachvollziehbares Niveau zurückgekehrt sind. Während einzelne Segmente – insbesondere Teile des KI-Universums – weiterhin sehr ambitioniert bepreist werden, erscheinen viele solide Qualitätsunternehmen heute so attraktiv wie lange nicht mehr.
Beispiele, die den Trend zeigen
Wie breit die stille Normalisierung inzwischen angekommen ist, zeigt sich quer durch verschiedene Segmente und Branchen. Zahlreiche ehemals hoch gehandelte Qualitätsunternehmen – vom Softwarebereich über Industrie- und Konsumgüter bis hin zur Medizintechnik – haben ihre früheren Überbewertungen mittlerweile hinter sich gelassen, ohne dass sich ihre Geschäftsmodelle fundamental verändert hätten.
So hat Roper Technologies seine Transformation zu einem reinen Software- und Datenplattformanbieter konsequent vorangetrieben und liefert weiterhin starke Cashflows – die Bewertungskennzahlen liegen jedoch deutlich unter früheren Höchstständen.

Constellation Software, ein Paradebeispiel für robuste, wiederkehrende Softwareumsätze, wurde trotz intakter operativer Dynamik ebenfalls durch die breitere Multiple-Korrektur eingefangen.
Ähnlich bei Dassault Systèmes (Software), das technologisch unverändert stark bleibt, aber nun auf attraktivere Bewertungsniveaus zurückgekehrt ist.
Der gleiche Effekt zeigt sich im Industriebereich: Sika (Baustoffe) gilt seit Jahren als verlässlicher, global führender Qualitätsanbieter – und dennoch notiert die Aktie heute spürbar günstiger, weil die früheren Übertreibungen im Zuge der Zinswende verschwunden sind.
IMCD (Distributor spezialisierter Chemikalien, Asset-light-Modell) bewegt sich mit seinem strukturell attraktiven Distributionsmodell ebenfalls wieder in Bewertungsregionen, die näher an den langfristigen Fundamentaldaten liegen und von denen aus sich langfristig attraktive Renditen erzielen lassen.
Auch im Bereich Konsum und Gesundheit ist die Normalisierung angekommen: LVMH (Luxuskonsum) hat trotz seiner dominanten Marktstellung zwischenzeitlich ein deutlich günstigeres Bewertungsniveau erreicht. Zoetis (Weltmarktführer Tiermedizin), Marsh & McLennan (einer der weltweit grössten Versicherungsbroker) und Sonova (Hörgeräte) zeigen dasselbe Muster – weiterhin starke Geschäftsmodelle, aber ohne die früheren Bewertungsprämien.
Gemeinsam ist all diesen Unternehmen: Ihre Fundamentaldaten sind intakt, ihre Marktpositionen solide, ihre Cashflows verlässlich. Teilweise lediglich mit etwas zyklischem Gegenwind. Was verschwunden ist, sind die überhöhten Multiples der Nullzinsjahre. Genau daraus entsteht heute für langfristige Anleger ein erheblich attraktiveres Chancen-Risiko-Profil – still, leise und weitgehend abseits der grossen Schlagzeilen.
Dies sind nur ein paar Beispiele zur Veranschaulichung, doch das Muster ist bei einer Vielzahl von Unternehmen zu beobachten.
Wir nutzen die aktuelle Marktphase, um Positionen in qualitativ hochwertigen Unternehmen auf- und auszubauen und setzen dafür bewusst die zuvor gebildeten Cashbestände ein. Diese stammen in erster Linie aus Verkäufen von Aktien, deren Bewertungen das aus unserer Sicht vernünftige Bewertungsband überschritten hatten. Dabei orientieren wir uns an klar definierten Kaufkriterien und bauen unsere Engagements gezielt in Phasen temporärer Schwäche bei hochwertigen Einzeltiteln schrittweise aus.
Chance und Risiko zugleich
Aktuell wird vielerorts diskutiert, ob wir uns in einer KI-Blase befinden. Erkennbar ist, dass die Unternehmen mit den höchsten Gewichtungen innerhalb der US-Indizes extrem hoch bewertet sind. Manche argumentieren, Bewertungen seien heute weniger relevant oder historische Vergleiche nicht mehr anwendbar. Der vorherrschende Gedanke lautet: „Diesmal ist vieles anders“ – Unternehmen seien stärker, ihre Bilanzen weniger verschuldet und ihre Profitabilität robuster.
Zwar unterscheidet sich das heutige Umfeld in vielen Punkten von der Technologieblase der späten 1990er-Jahre, doch gewisse Parallelen sind unübersehbar. Neben den hohen Bewertungen fällt insbesondere die starke Kapitalkonzentration auf KI-bezogene Aktien auf – sie ist heute sogar grösser als die damalige Dominanz der Technologiewerte im Jahr 2000. Befürworter argumentieren, dass es sich diesmal nicht um unrentable Spekulationsobjekte handelt.
Gleichzeitig bleiben zentrale Risiken bestehen: OpenAI, einer der wichtigsten Treiber der aktuellen Kursbewegungen, ist weiterhin hoch defizitär und sein Geschäftsmodell nicht abschliessend geklärt. Dennoch schliesst das Unternehmen milliardenschwere Kooperationen ab – häufig ohne eindeutig nachvollziehbare Finanzierungsquellen. Nvidia wiederum ist zwar ausserordentlich profitabel, stützt sich laut mehreren Analysten jedoch auf teils „zirkuläre“ Transaktionen, um das derzeitige Wachstumsniveau aufrechtzuerhalten.
Alphabet, Meta, Amazon und Microsoft stehen ebenfalls im Zentrum der aktuellen KI-Investitionswelle. Zwei Punkte stechen hervor. Erstens: Obwohl diese Unternehmen äusserst profitabel sind, stammt ein Grossteil ihrer Cashflows weiterhin aus Werbung. In früheren Abschwüngen wurden Werbebudgets zunächst in traditionellen Medien gekürzt, während digitale Plattformen vergleichsweise stabil blieben. Heute jedoch liegt nahezu das gesamte Werbevolumen bereits bei den digitalen Anbietern. In der nächsten Wirtschaftsschwäche dürfte dieser Schutzmechanismus daher wegfallen: Ein breit angelegter Rückgang der Werbeausgaben (wie es in einem Wirtschaftsabschwung üblich wäre) könnte ihre Fähigkeit, die enormen KI-Investitionen zu finanzieren, unmittelbar beeinträchtigen.
Zweitens verändert sich der kapitalleichte Charakter, der diese Unternehmen einst auszeichnete. Die vier größten Player dürften 2025 schätzungsweise rund 370 Milliarden US-Dollar für KI-Investitionen aufwenden – etwa 70 % ihres operativen Cashflows der vergangenen zwölf Monate. Damit werden sie zunehmend zu kapitalintensiven Unternehmen.
Die Geschichte zeigt, dass Branchen mit rasanten technologischen Ausbauphasen – Eisenbahnen, Elektrifizierung, Internet-Infrastruktur – oft überinvestieren, was zu schlechten Renditen führt. Ob die heutigen Ausgaben zu hoch oder zu niedrig sind, bleibt ungewiss, doch die Risiken sind klar erkennbar.
Wir begleiten diese Entwicklung mit Vorsicht und ziehen es vor, schrittweise in qualitativ hochwertige Unternehmen zu investieren, deren Bewertungen auch ohne optimistische Annahmen attraktive Renditen zulassen. Im Laufe des Jahres haben wir hierfür gezielt Cashpolster aufgebaut – insbesondere durch den Verkauf von Titeln, deren Bewertungen aus unserer Sicht das vernünftige Bewertungsband überschritten hatten. Dieses Polster setzen wir nun bewusst langsam und diszipliniert ein, um aussergewöhnlich attraktive Einstiegsmöglichkeiten in hochwertigen Unternehmen nutzen zu können.
Fazit: Man sollte dort fischen, wo die Fische sind – nicht dort, wo sich die meisten Fischer drängen.
Genau das gilt auch an den Kapitalmärkten. Die interessantesten Renditechancen entstehen selten in jenen Segmenten, die die meiste Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sondern dort, wo solide Fundamentaldaten auf vernünftige Bewertungen treffen. In einem Marktumfeld, das sich zunehmend zwischen KI-Euphorie und breiter Normalisierung aufspaltet, bleibt der nüchterne Blick auf Qualität, Cashflows und realistische Wachstumspfade der verlässlichste Kompass für langfristige Wertsteigerung. Klingt unspektakulär – bringt aber erfahrungsgemäss die stabilsten Renditen bei einem deutlich reduzierten Risiko.
Bei Fragen stehe ich Ihnen natürlich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen
Björn Heissenberger
heissenberger@h-vv.ch
+41 44 254 38 86